Ode 9: An die kreativen Träume. Nein: ans Sein!

Eigentlich sollte meine neunte Ode von Träumen handeln. Von kreativen Träumen, denn ich bin davon ausgegangen, dass Kreative andere Träume haben als andere Menschen und das ist auch sicher so. Aber ich will nicht mehr über Träume reden. Denn wir reden von »Träumen«, weil wir uns nicht trauen, es »Möglichkeiten« zu nennen. Wir »träumen«, aber in Wirklichkeit spüren wir ja in uns schon, dass unser Traum wahr werden könnte. Wir spüren, dass da etwas raus will, lebendig sein will. Und anstatt es zu tun, nennen wir es einen „Traum“, etwas, das weit weg ist, irgendwo oben im All. Zu weit weg, als dass wir es erreichen könnten.

Vieles formulieren wir auch deshalb als „Träume“, weil andere erschrecken, wenn wir solche Gedanken äußern. Darum „träumen“ wir weiter, beängstigen weder uns noch andere. Und vergessen dabei, dass wir es tun können. Dass wir gleich loslegen können, nicht länger auf etwas warten müssen, sondern heute - hier und jetzt - anfangen können. Sicher, das, wo wir uns hin träumen, erreichen wir nicht heute. Eine große Autor:in werden, erfolgreich sein, viel Geld verdienen, Preise gewinnen, das kommt nicht von einem Tag auf den anderen und ist auch keinesfalls garantiert. Aber die Maler:in, die Autor:in, die Unternehmer:in, die haben wir schon in uns. Wir sind genau diese Person jetzt schon. "In jedem von uns steckt eine Kreative, wir müssen sie nur rauslassen" (frei nach Matthias Beltz). Was diese Person am Werden hindert, ist nicht, dass der Traum unmöglich wäre oder zu groß. Und auch nicht, dass uns Fähigkeiten oder Zeit fehlten. Uns hindert nur eins: Dass wir darauf warten, dass man uns eine Rolle zuteilt, statt uns die Rolle einfach zu nehmen. Dass wir darauf warten, dass jemand sagt: „Du bist eine Künstler:in“, statt mit der Arbeit anzufangen. Der einzige Weg, um kreativer zu werden ist: Uns an die Arbeit machen. Die Pinsel nass, die Finger schmutzig machen, Bilder und Worte in die Welt schicken und Kritik ernten, unsere Herzensbotschaften formulieren und auf Unverständnis stoßen und einfach weitermachen. Wenn Etwas Träume am Entstehen hindert, dann sind das Zögerlichkeiten und Aufgebereien. Mach deine Arbeit. Mach sie jeden Tag. Mach sie weiter. Mach sie nicht, weil du auf Anerkennung, Geld oder Preise wartest. Sondern, weil diese Arbeit es wert ist, gemacht zu werden. Weil du es wert bist, du zu sein und genau das zu tun, was in dir auf Erfüllung wartet.

Wir haben genug geträumt. Lass uns sagen: »Wir sind!« Ab heute bin ich die Person, die ich sein will. Künstlerin, Autorin, Unternehmerin. Ich warte nicht mehr, ob ich Erfolg habe, ob andere Feedback geben, ob andere mir diesen Titel zuerkennen: Ich bin die ich bin und ich verhalte mich auch dementsprechend: Ich verstecke mich nicht mehr, trödel nicht rum, tu nicht, als ob ich jemand anderes wäre oder etwas anderes tun könnte. Ich weiß, was mir wichtig ist, und mache es mit ganzem Herzen, egal ob andere mich begreifen, ob sie mir zujubeln oder mir mit Kontoauszügen und Karriereleitern vor der Nase herumwedeln. Natürlich brauchen wir im Moment in dieser Welt alle noch Geld. Aber es kann ja nicht sein, dass ich nur deswegen – doch es kann sein, aber ich möchte nicht – meine Lebenszeit auf Arbeit verschwende, die ich nicht wirklich wichtig finde. Es gibt so etwas wie einen Auftrag. Und wer immer diesen Auftrag in sich spürt, wer spürt, dass etwas raus muss, etwas das wichtiger ist als …, der sollte das auch rauslassen. Sich nicht so viel Sorgen über gestern und morgen machen, über andere, über, was richtig oder falsch ist. Wir sollten uns Sorgen um unser kreatives Vermögen machen. Das zu kurz kommt. Das wir mit aus dieser Welt herausnehmen werden, wenn wir unsere Zeit nicht nutzen.

Das Verrückte ist ja, dass wir unser Leben gar nicht immer vollkommen umkrempeln müssen um die zu werden, die wir sein wollen: Wir brauchen den Brotjob nicht hinzuwerfen, wir brauchen nicht auszuwandern. Wir brauchen nicht ins All zu reisen, um unseren Traum zu finden, sondern nur in unser eigenes brennendes Inneres. Eine Reise zum Mittelpunkt des Selbst kostet nichts. Nicht über Träume reden, sondern unsere Träume aufsuchen, untersuchen, in sie eintauchen. Zwei Stunden am Tag schreiben, ein halber Samstag zum Malen ist ein guter Anfang. Du begegnest dir auch dann, wenn du dir nur genug Aufmerksamkeit schenkst. Wenn du all das, was von außen kommt ausblendest und dich ganz auf dich konzentrierst. Dir zuhörst, dich spürst, den Worten und Bildern folgst, die ganz deine sind. Gar nicht so leicht am Anfang: in all dem Rauschen das Eigenen zu finden. Die du mal warst, bevor. Die du sein wirst, wenn. Die du schon bist, in deinem bunt funkelnden Kern. Das Feuer, das uns in unserem eigenen Erdkern begegnet, verletzt nicht, es heilt. Es heilt uns und es heilt die Welt, davon bin ich überzeugt: Wenn wir alle unserem Inneren zuhören und mehr von dem tun würden, was wir wirklich wichtig finden, wäre diese Welt schöner, bunter und vor allem sehr viel menschlicher. Wir brauchen niemand anderes zu werden, sondern uns nur in uns selbst ausbreiten und uns jene Stücke von uns selbst erlauben, die gar nicht weit weg, sondern ganz nah an unserem Herzen sind. Ich bin. Ich tu. Ich tu jetzt. Es macht sehr viel Spaß. Es kostet nichts, außer Mut. Und es macht sehr, sehr glücklich.

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Ode 8: An die kreativen Weggefährten

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Ode 10: An den Leerlauf – Wie ich in die Leere zog und mit Kreativität zurück kam