Kreative Strategien: 1. Einigeln

Die kreative Arbeit unterscheidet sich auf so viele Weisen von dem, was wir ansonsten in unserer Gesellschaft als "Arbeit" auffassen. Darum brauchen kreative Menschen auch andere Strategien. Einige solcher Strategien möchte ich in dieser Serie untersuchen. Anfangen will ich mit einer, die ich selbst nur zu gerne nutze, die mich in der letzten Zeit aber auch manchmal hindert: Das Einigeln.

Einigeln schützt

Ich liege auf dem Sofa und schreibe und denke: Ach wie gut, dass niemand weiß.

Sich von der Außenwelt zurückziehen und erst mal für sich behalten, woran man arbeitet, hat eine Menge Vorteile. Vor allem bietet es Sicherheit: Ich setze mich und meine Ideen nicht schutzlos den Kommentaren anderer aus. Solche Kommentare können ja sehr verunsichern und es ist wichtig, sich solchen Situationen nicht unnötig auszusetzen. Wer kreativ arbeitet, bewegt sich immer auf unsicherem Terrain und es ist prima, sich da erst mal aus möglichen "Schusslinien" herauszuhalten. Viele Kreative nutzen solche Geheimhaltungsstrategien: Solange sie sich ihrer Sache nicht sicher genug sind, erzählen sie niemandem oder nur Ausgewählten von ihren Ideen.

Einigeln hindert auch

Illustration: Ich, voll bepackt mit Taschen und schwerem Rucksack, sage: "Ich schaff das schon".

Der wichtigste Nachteil solcher Rückzug- und Geheimhaltungs-Strategien ist, dass man sich dadurch auch keine Unterstützung von der Umgebung holen kann. Wenn niemand weiß, woran ich arbeite und mit welchen Dämonen ich kämpfe, dann werde ich auch keine Ermutigung erfahren und keine Hilfen bekommen. Ich muss mich alleine gegen Unsicherheit und Zweifel schützen und gebe anderen nicht die Gelegenheit, mich auf welche Weise dann auch zu ermutigen oder zu unterstützen.Warum mache ich das? Die Antwort ist einfach: weil ich es kann. Ich lebte als Kind in einer Situation, in der es notwendig war, Geheimnisse zu haben und Verantwortung zu tragen. Dadurch habe ich gelernt: "Ich krieg das schon selbst hin". So geht es vielen Menschen. Während der Coachingausbildung stellten wir irgendwann fest, dass von den fünfzehn Menschen unserer Gruppe vierzehn als Kind auf die eine oder andere Weise für ihre Eltern sorgen mussten. Dabei hatten wir alle coachende Fähigkeiten entwickelt, wir waren gut darin, andere zu ermutigen. Was wir nicht gelernt hatten, war uns auch mal von anderen ermutigen oder helfen zu lassen. Solche früh gelernten Strategien werden oft zu Automatismen. Sie sind auch dann noch unsere erste Wahl, wenn es längst nicht mehr nötig ist. Denn inzwischen lebe ich ja in einer ganz anderen Umgebung, bin von vielen wunderbaren Menschen umgeben, die mir sicher ihre Unterstützung anbieten würden - gäbe ich ihnen die Chance dazu.

Einigeln ist gut, aber gleichzeitig sollten wir unsere Fühler aufstellen, damit wir die kostbaren Menschen und Umgebungen erkennen, in denen Kreativität sich nicht nur zeigen kann, sondern wertschätzend unterstützt wird. An sich ist es gar nicht so schwer, die Bedingungen dafür zu erkennen.

Deine kreativen Äußerungen sind sicher, wo Menschen

  • den Prozess mehr schätzen als das Ergebnis

  • begreifen, dass Kreativität immer bedeutet, Neues auszuprobieren und der Prozess daher ein offenes Ende hat

  • sich bewusst dafür einsetzen, Kreativität vor schädlichen Auffassungen, Normen und Regeln zu schützen

  • die einzigartige Ausdrucksweise jedes Menschen wertschätzen und ermutigen.

Schutzzauber für Kreative

Illustration: Ich male auf einem großen Blatt auf dem Boden. Darüber steht "Protego Kreativum".  Darunter: "Der Schutzzauber für Kreative"

Die Fühler aufzustellen bedeutet auch, erst mal abzuwarten. Eine Gruppe erst mal auf mich wirken zu lassen. Mich nicht zu schnell zu öffnen, erst mal genau hinzufühlen, was mir meine Fühler alles erzählen können. Vielleicht auch zu merken: In den meisten Gruppen gibt es komplexe Dynamiken, wodurch die einzelnen Mitglieder sich anders verhalten. Darum manchmal lieber einzelne, die für Kreatives offen scheinen, im Anschluss an die Veranstaltung oder an anderem Ort anzusprechen. Austausch muss nicht immer sofort geschehen. Ich "notiere" mir Menschen auf meiner inneren Vertrauenspinnwand: Mit der möchte ich Kontakt, mit der stelle ich mir den Austausch fruchtbar vor, bei ihr vermute ich meine Ideen in sorgsamen Händen.


Reale Gefahren

Natürlich haben wir uns das Einigeln nicht ohne Grund angewöhnt: Die meisten Umgebungen bieten für kreative Menschen viel mehr Gefahren als mögliche Unterstützer.  Für das Buch an dem ich arbeite, untersuche ich seit einiger Zeit systematisch, wie Menschen auf kreative Ideen reagieren. Ich beobachte auf Spielplätzen und in Cafés, bei Netzwerktreffen und persönlichen Gesprächen, analysiere Talkshows und die sozialen Medien. Und immer wieder fällt mir auf, wie sehr wir alle darauf konditioniert wurden, kreative Äußerungen zu hinterfragen und jedes Abweichen von den subtilen Normen unserer Kultur erst mal mit Ablehnung zu beantworten. Ich habe schon mehr als dreißig solcher kreativitätsfeindlichen Normen entdeckt. Normen, die uns an der kreativen Arbeit hindern. Normen, die dazu führen, dass Kreativität sich nicht zeigen kann. Normen, die wir schon als Kinder annehmen und mit denen wir uns dann ein Leben lang herumschlagen.

Illustration: Ein Kreative steht in einem Kreis von Kreativen, die sie und ihre Idee schützen. Darüber steht: Lasst uns kreative Schutzräume schaffen

In den nächsten Monaten möchte ich diese kreativitätsfeindlichen Normen zum Thema meiner Arbeit machen. Und auch, wie wir uns vor ihnen schützen können. Mit Einigeln und Hinfühlen zum Beispiel. Das ist Selbstschutz und Schutz unserer Kreativität. Wir alle können das, wir können für uns und für andere sorgen. Und das bedeutet, mir Zurückhaltung und Vorsicht zu erlauben. Doch auch rundum Vorsicht gibt es Normen: Wir sollen alle regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, das Geld sicher anlegen und uns fürs Alter absichern. Aber uns selbst vor vernichtenden Kommentaren oder kreativitätsfeindlichen Umgebungen schützen, steht nicht auf dem Sicherheits-Lehrplan. Dabei ist diese Art Sicherheit für unser persönliches Glück genauso wichtig wie Geld oder Gesundheit. Denn Kreativität ist persönlich und authentisch und uns so öffnen und zeigen können wir ohne Gefahr nur in einer wertschätzenden Umgebung. Kreative brauchen solche Schutzräume! Wie schützt ihr euch vor den Kreative-Dämonen? Woran misst ihr ab, ob eine Umgebung für kreative Ideen sicher ist? Wann igelt ihr euch besonders ein? Bin gespannt auf eure Erfahrungen!   

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Kreative Strategien 2: Ein Gerüst für dein Projekt bauen

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Ode Null: An die Zettelwirtschaft